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Das Dichten des Wesens der Ströme

und d. h. ahnen von dem, was im Wort dieses Dichters gesagt sein könnte.

Was die Vorlesung mitzuteilen vermag, sind Anmerkungen zu den für sie ausgewählten Dichtungen. Solche Anmerkungen sind stets nur eine Beigabe. So kann es sein, daß manches oder vieles oder gar alles von dem, was angemerkt ist, eben hinzugebracht wird und nicht »in« der Dichtung »steht«. Die Anmerkungen sind dann nicht aus der Dichtung genommen, nicht aus ihr heraus vorgelegt. Die Anmerkungen erreichen keineswegs das, was im strengen Sinne des Wortes eine »Auslegung« der Dichtung heißen dürfte. Die Anmerkungen geben, auf die Gefahr, die Wahrheit der Hölderlinschen Dichtungen zu verfehlen, nur einige Merk-male, Zeichen für das Aufmerken, Haltepunkte für die Besinnung. Weil diese Anmerkungen nur eine Beigabe zum Gedicht sind, muß die Dichtung selbst zuerst und ständig das Erste und Gegenwärtige sein.

Die in dieser Vorlesung zugrundegelegten Texte sind der Ausgabe entnommen, auf die künftig jedes Hören des Hölderlinschen Wortes zurückgehen muß. Diese Ausgabe wurde von Norbert von Hellingrath um das Jahr 1911 entworfen und von ihm selbst in den wesentlichen Stücken Band I, IV und V geschaffen.1 Norbert von Hellingrath ist als achtundzwanzig jähriger im Dezember 1916 vor Verdun gefallen. (Zu gebrauchen ist auch die Ausgabe von Zinkemagel.)



a) Die Ister-Hymne


Die Vorlesung beginnt mit Anmerkungen zu einer »Hymne«, die Hölderlin selbst nie veröffentlicht, die er auch bei der Niederschrift und im Entwurf ohne Überschrift gelassen hat. Norbert von Hellingrath gab dem Gedicht die überschrift »Der Ister« (d. h. die Donau).2


1 Hölderlin, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, begonnen durch Norbert von Hellingrath, fortgeführt durch Friedrich Seebass und Ludwig von Pigenot. Berlin, Band III, 21922, Bände I, 11, IV, V, VI, 21923.

2 Vgl. »Andenken«, W.S. 1941/42, S. 1 (GA. Bd. 52, S. 1).


Martin Heidegger (GA 53) Hölderlins Hymne »Der Ister«

GA 53