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Einleitung

wohl auch dieses wirst du wissen lernen, wie das Scheinende

32 (in der Not) gebraucht bleibt, scheinmäßig zu sein, indem es durch alles hindurchscheint und (also) auf solche Weise alles vollendet.


Parmenides erzählt von einer Göttin. Das Erscheinen eines »göttlichen Wesens« im Gedankengang eines Denkers befremdet. Einmal überhaupt, weil ein Denker nicht die Botschaft einer göttlichen Offenbarung zu verkünden hat, sondern das selbst Gefragte selbst aussagt. Auch sogar dort, wo die Denker über »das Göttliche« denken, wie in aller »Metaphysik«, ist dieses Denken τὸ θεῖον (das Göttliche), wie Aristoteles sagt, ein Denken aus der »Vernunft«, nicht eine Wiedergabe von Sätzen eines kultischen und kirchlichen »Glaubens«. Im besonderen jedoch befremdet das Erscheinen »der Göttin« im Lehrgedicht des Parmenides deshalb, weil sie die Göttin »Wahrheit« ist. Denn »die Wahrheit« gilt uns wie »die Schönheit«, »die Freiheit«, »die Gerechtigkeit« als etwas »Allgemeines«, was vom Besonderen und Wirklichen, dem jeweiligen Wahren, Gerechten und Schönen abgezogen und daher »abstrakt«, im bloßen Begriff vorgestellt wird. »Die Wahrheit« zu einer »Göttin« machen, das heißt doch, einen bloßen Begriff von etwas, nämlich den Begriff vom Wesen des Wahren, zu einer »Persönlichkeit« umdeuten.



b) Zwei Weisungen des übersetzenden Wortes ἀλήθεια. Das Streithafte der Unverborgenheit. Vorläufige Klärung des Wesens der ἀλήθεια und der Verborgenheit. Das Übersetzen und das Übersetzen


Wenn wir zuerst und unbestimmt aus dem »Lehrgedicht« von der Göttin »Wahrheit« hören, und wenn wir meinen, hier sei der »abstrakte Begriff« »Wahrheit« zu einer göttlichen Gestalt »personifiziert«, dann spielen wir uns bei solchem Meinen sogleich


Martin Heidegger (GA 54) Parmenides

GA 54