46
Der seinsgeschichtliche Bereich von ἀλήθεια und λήθη

Voss übersetzt:

(als) »bevor vom Ägiserschütterer

wir erkannt, ob er Täuschung gelobete, oder nicht also.«


Hier ist die Rede von Zeus, und gedacht wird an das Geschehnis, daß an dem Tage, da die Griechen in Argos die Schiffe zur Ausfahrt nach Troja bestiegen,


άστράπτων έπιδέξι', έναίσιμα σήματα φαίνων.


Voss übersetzt:

»Rechtshin zuckte sein Blitz, ein heilweissagendes Zeichen.«


Wörtlicher übersetzt sagt der Vers: »Zeus, blitzeschleudernd nach rechtshin günstige Zeichen erscheinenlassend«. In den vorgenannten Versen sind diese Zeichen ύπόσχεσις genannt. Die beste deutsche Übersetzung gäbe unser Wort »Vorbehalt«, aber es ist durch das römische Wort reservatio zu sehr in seiner Bedeutungsrichtung festgelegt. Ύπόσχεσις meint ein Vor- und Hinhalten, ein Zeigen, das hinhaltend zugleich etwas zurückhält, also nicht zeigt. Zum Wesen des σήμα, des Zeichens, gehört es, daß es selbst erscheint (sich zeigt) und in diesem Erscheinen zugleich auf etwas anderes weist: das Zeichen läßt, indem es selbst erscheint, ein anderes erscheinen. Die rechtshin fahrenden Blitze sind eine Vorgabe. Sie lassen, weil rechtshin, etwas Günstiges erscheinen, so zwar, daß sie als Zeichen noch zurückbehalten und verhüllen den Anblick des kommenden wirklichen Verlaufs der Unternehmung gegen Troja. Nun soll nach dem Wort des Nestor erst erfahren werden, ob die Vorgabe des Zeus •ψεῦδος sei oder nicht. Wann ist sie ψεῦδος? Wenn die rechtshin fahrenden Blitze als die Zeichen des günstigen Geschicks das wirkliche, den Griechen vorbehaltene, also schon zugewiesene Mißgeschick verbergen. Das ψεῦδος betrifft, wie Homer einfach sagt, den Zeus σήματα φαίνων, den Zeus in der Weise seines Erscheinenlassens der Zeichen. Erscheinen läßt er stets etwas im Zeichen. Er hält Unverborgenes

GA 54