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Der seinsgeschichtliche Bereich von ἀλήθεια und λήθη

ihm Stehende und Liegende, alles Geheure, schon überblickt und in alles Geheure hereinblickt, so zwar, daß es gerade im Geheuren selbst und in nur diesem und heraus aus ihm erscheint.


e) Das den Anblick des Seins bietende Blicken (θεάω).

Das Aussehen (Anblick) des Seins (εἶδος).

Der im Blicken sich der Unverborgenheit dargebende Gott (δαίμων) der Griechen. Das in das Geheure Hereinblickende:

das Un-geheure. Das Erscheinen des Ungeheuren im Blicken des Menschen


»Blicken« heißt griechisch θεάω. Man kennt merkwürdigerweise — oder dürfen wir hier sagen wunderbarerweise? — nur die mediale Form θεάομαι, was man mit »anschauen« und »zuschauen« übersetzt; deshalb ist die Rede von θέατρον, dem Schau-platz, dem »Theater«. Θεάομαι heißt aber griechisch gedacht: sich den Blick zubringen, den Blick, nämlich θέα, im Sinne des Anblicks, in dem sich etwas darbietet und dargibt. Θεάω, das Blicken, meint daher keineswegs das Sehen im Sinne des vorstellenden Hinsehens und Zusehens, wodurch der Mensch sich auf das Seiende als »Gegenstand« richtet und es erfaßt. Θεάω ist vielmehr das Blicken, worin das Blickende sich selbst zeigt, erscheint und »da ist«. Θεάω ist die Grundweise, in der das Blickende sich in den Anblick seines Wesens dargibt (δαίω), d. h. in das Un verborgene und als dieses aufgeht. Das Blicken, auch das Blicken des Menschen, ist, ursprünglich erfahren, nicht das Erfassen von etwas, sondern das Sichzeigen, im Hinblick auf welches erst ein erfassendes Blicken möglich wird. Wenn der Mensch bereits und nur von sich selbst her das Blicken erfährt und das Blicken gar »von sich« als dem Ich und Subjekt her begreift, dann ist das Blicken eine auf Gegenstände gerichtete »subjektive« Tätigkeit. Erfährt aber der Mensch sein eigenes Blicken, d. h. hier den Blick des Menschen, nicht in der »Reflexion« auf sich als den sich blickend vorstellenden,


Martin Heidegger (GA 54) Parmenides

GA 54