HAUPTTEIL

DIE WAHRHEIT DES SEINS



§ 3. Der Anfang des anfänglich Zu-denkenden. Fragment 16


a) Zwischenbemerkung zur Aufgabe des übersetzens


Mit demjenigen Fragment des Heraklit, das wir jetzt als das erste in der hier versuchten Reihenfolge anführen, möchte das Denken in die bestimmende Mitte dessen gelangen, was überhaupt für die Denker des Anfangs, und deshalb auch für Heraklit, das anfänglich Zu-denkende ist. Wir stellen in den ›Anfang‹ das Fragment 16. Es lautet:


τὸ μὴ δῦνόν ποτε πῶς ἄν τις λάθοι;

»Dem ja nicht Untergehen(den) je, wie möchte irgendwer (dem) verborgen sein?«


Die hier und im folgenden gegebenen Übersetzungen sollen nach der Möglichkeit wortgetreu sein. ›Wortgetreu‹ ist noch etwas anderes als ›wörtlich‹. In der bloßen wörtlichen Übersetzung werden den einzelnen Wörtern fast mechanisch lexikalisch entsprechende gegenübergestellt. Aber bloße Wörter sind noch keine Worte. Wenn daher die Übersetzung nicht nur wörtlich, sondern wortgetreu sein soll, dann müssen die Wörter aus der schon waltenden Treue zum einheitlichen Wort, d. h. zum Ganzen eines Spruches, ihre Nennkraft und ihr Gefüge empfangen. Aber jede Übersetzung bleibt ein Notbehelf. Wenn die Not gering ist, kann der Behelf leicht aller Not abhelfen, z. B. im Falle der Übersetzung von Geschäftspapieren. Hier versteht man auf beiden Seiten, worum es sich handelt; vielleicht versteht man sich da sogar zu gut. Im Fall der übersetzung


Martin Heidegger (GA 55) Heraklit