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Einleitung in die Phänomenologie der Religion

höhere Wirklichkeit. Der zweite Weg verzichtet auf Normen; er sieht die Wirklichkeit im Historischen selbst, in den »Kulturen«. Der dritte Weg erkennt ein Minimum von absoluten Werten an, die aber nur in relativer Gestalt im Geschichtlichen gegeben sind. Universalhistorische Orientierung soll in einer schöpferischen Synthese aller vergangenen Kulturen die Entwicklung weiter führen. Die geschichtliche Wirklichkeit ist in allen drei Wegen als ein objektives Sein angesetzt. Der Weg ist der des Erkennens, der Sachbetrachtung. Daneben geht eine Tendenz zur Typisierung, zum typenbildenden Verstehen. Diese Tendenz ist wichtig, weil sie den Grundcharakter der theoretischen Einstellung, bezogen auf die Geschichte, bezeichnet. Darin bekundet sich der einstellungsmäßige Charakter des Bezugs auf die Geschichte.

»Einstellung« hat hier einen ganz bestimmten Sinn. »Bezug« gebrauchen wir in allgemeiner Bedeutung. Nicht jeder »Bezug« ist eine »Einstellung«, aber jede »Einstellung« hat »Bezugs«- Charakter. »Einstellung« ist ein solcher Bezug zu Objekten, in dem das Verhalten in dem Sachzusammenhang aufgeht. Ich richte mich lediglich auf die Sache, ich stelle mich von mir weg auf die Sache ein. Mit dieser »Einstellung« wird zugleich »eingestellt« (im Sinne »es wird damit aufgehört«, z. B. wie man sagt: »Der Kampf wird eingestellt«) der lebendige Bezug zum Erkenntnisgegenstand. Wir haben also einen Doppelsinn des Wortes »Einstellung«: erstens Einstellung in ein Sachgebiet, zweitens Einstellung des ganz menschlichen Bezugs zum Sachzusammenhang. In diesem Sinn bezeichnen wir den Bezug zur Geschichte in den drei »Wegen« als »einstellungsmäßig«. Geschichte ist hier Sache, Objekt, worauf ich erkenntnismäßig eingestellt bin. Auch Spengler zeigt im Laufe seiner Betrachtung, daß das, was uns beunruhigt, dasselbe ist wie das, was beunruhigt wird: Beide sind Ausdruck einer Kulturseele. Sein Bezug ist einstellungsmäßig erkennend. Die morphologische Typenbetrachtung ist nichts als die Verfestigung und Fundierung des Sachzusammenhangs aus sich selbst heraus, sie erledigt


Martin Heidegger (GA 60) Phänomenologie des religiösen Lebens

GA 60