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Vorbemerkung zu den Aristotelesinterpretationen

§ 2. Die Literaturform der überlieferten aristotelischen Schriften1


Ein Text ist nicht lediglich eine Aufeinanderfolge von Worten und Sätzen. Er ist mit und durch den Bedeutungszusammenhang des Sprachlichen — ›Ausdruck‹; und zwar entsprechend dem Inhaltlichen, was sich ausdrückt, entsprechend dem Ausdrucksziel, der Ausdruckstendenz (Mitteilung einer Lehre, Mitführung in wissenschaftlicher Forschung), hat der Text einen bestimmten, und zwar mehrfachen Ausdruckscharakter. Bedeutungszusammenhang ist Ausdruck des gegenständlichen Was. Das Wie des Bedeutens drückt aus das Wie des Ansprechens und Zugehens auf.

Sofern die Kundgabe immer solche ist innerhalb und für den Umkreis von Hörern und Lesern — die Kundgabe also mit den Ausdrucksmitteln und Formen ihrer geschichtlichen Lage sich darbietet bzw. solche Mittel und Formen umbildungsweise zum Ausgang nimmt, lebt die Mitteilungstendenz des Philosophierens, im besonderen der philosophischen Forschung, in einer bestimmten literarischen Form bzw. bildet eine solche aus.

Gerade je entscheidender das Absehen auf eine prinzipielle Aneignung einer überlieferten Philosophie geht, um so weniger gleichgültig ist der literarische Ausdruckscharakter der vorgegebenen Quellen.

Die Literaturformenforschung hat erst neuerdings die überlieferte philosophische Literatur (es ist hier zunächst nur die Rede von der des ›klassischen Altertums‹) in ihren Aufgabenkreis gestellt.

Zwar sah man im Rohen immer schon einen Unterschied zwischen einem platonischen Dialog (vor allem der Frühzeit) und einer aristotelischen Abhandlung, und man war immer etwas verlegen, ob man aus platonischen Dialogen ein System der Philosophie herauspräparieren könne und überhaupt dürfe. Die Frage


1 [Überschrift von Heidegger.]

GA 62