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I. Vorblick

4. Vom Ereignis


Hier ist alles auf die einzige Frage nach, der Wahrheit des Seyns gestellt: Auf das Fragen. Damit dieser Versuch ein Anstoß werde, muß das Wunder des Fragens im Vollzug erfahren und zur Weckung und Stärkung der Fragekraft wirksam gemacht werden.

Das Fragen erweckt sogleich den Verdacht der leeren Versteifung auf das Unsichere, Unentschiedene und Unentscheidbare. Es nimmt sich aus wie ein Zurückreißen des »Wissens« in die stillstehende Besinnung. Es hat den Anschein des Verengenden, Hemmenden, wenn nicht gar Verneinenden.

Und dennoch: im Fragen ist der treibende Ansturm des Ja zum Unbewältigten, die Weitung in das noch unausgewogene Zuerwägende. Hier waltet das Übersichhinausfahren in das uns Überhöhende. Fragen ist die Befreiung zum verborgen Zwingenden.

Das Fragen ist in seinem selten erfahrenen Wesen so ganz anders als der Anschein seines Unwesens vorgibt, um so oft den Unmutigen ihren letzten Mut zu nehmen. Aber sie gehören dann auch nicht in den unsichtbaren Ring, der jene umschließt, denen im Fragen der Wink des Seyns antwortet.

Das Fragen nach der Wahrheit des Seyns läßt sich nicht aus dem Bisherigen errechnen. Und wenn es den Anfang einer anderen Geschichte vorbereiten sollte, muß der Vollzug ursprünglich sein. So unumgänglich die Auseinandersetzung mit dem ersten Anfang der Geschichte des Denkens bleibt, so gewiß muß das Fragen selbst nur seine Not bedenken und Alles um sich vergessen.

Nur in der unmittelbaren Überspringung des »Historischen« wird Geschichte.

Die Frage nach dem »Sinn«, d. h. nach der Erläuterung in »Sein und Zeit« die Frage nach der Gründung des Entwurfsbereichs, kurz nach der Wahrheit des Seyns ist und bleibt meine Frage und ist meine einzige, denn sie gilt ja dem Einzigsten.


Martin Heidegger (GA 65) Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)

GA 65