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V. Die Gründung

212. Wahrheit ah Gewißheit


Sofern hier die ratio der fides zunächst nicht entgegen, aber ihr es gleichtuend sich auf sich selbst stellen will, bleibt ihr (dem Vor-stellen) nur die Bezogenheit auf sich selbst, um in ihrer eigenen Weise ihrer selbst habhaft zu werden, und dieses Vor-stellen des ic/i-stelle-vor ist die Gewißheit, das Wissen, das als solches gewußtes ist.

Damit aber setzt die ratio selbst sich unter sich selbst herab, geht unter ihr eigenes »Niveau«, das anfänglich ja darin bestand, die Seiendheit im Ganzen immittelbar zu vernehmen.

So unter sich herabgesetzt, bringt es die Vernunft gerade dadurch zum Schein einer Herrschaft (auf Grund der Selbsterniedrigung). Diese Scheinherrschaft muß eines Tages zerbrechen, und die jetzigen Jahrhunderte vollziehen diese Zerbrechung, aber notwendig unter ständiger Steigerung der »Vernünftigkeit« als »Prinzip« der Machenschaft.

Sobald aber die Vernunft unter sich herabgesetzt wird, ist sie für sie selbst faßlicher geworden, so sehr, daß sie diesem Erfolg nun überhaupt den Maßstab der Verständlichkeit, Einsichtigkeit entnimmt. Jetzt wird diese Einsichtigkeit zum Maßstab dessen, was gilt und gelten kann, und d. h. jetzt, was seiend sein und heißen darf.

Das Sein selbst ist jetzt erst recht faßlicher, einheimischer, ohne jede Befremdung.

Was sich bei Plato, zumal als Vorrang der Seiendheit von der τέχνη her ausgelegt, festmacht, wird jetzt so sehr verschärft und in die Ausschließlichkeit erhoben, daß die Grundbedingung für ein menschliches Zeitalter geschaffen ist, in dem notwendig die »Technik« - der Vorrang des Machenschaftlichen, der Maßregeln und des Verfahrens vor dem, was darein eingeht und davon betroffen wird — die Herrschaft übernimmt. Die Selbstverständlichkeit des Seyns und der Wahrheit als Gewißheit ist jetzt ohne Grenzen. Damit wird die Vergeßbarkeit des Seyns zum Grundsatz, und die anfänglich angelegte Seinsvergessenheit


Martin Heidegger (GA 65) Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)

GA 65