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Das Wort

Alles — Wiege und Weg, Steg und Wiegen, Gewiegtes und Wägen, Wage und Wagen — kommt als das Selbe aus der heilsamen Ruhe der Huld.

Die Wiege birgt (hehlt) die Ruhe. Die Ruhe des Holden beruhigt die Bewegungen des Ereignens. Die Ruhe stillt. Sie beseitigt die Bewegung nicht. Die Ruhe ruft die Bewegungen in die Wiege zurück und erfüllt sie so mit dem Fugriß ihres Wesens, stillt sie. Insofern die Ruhe und nur sie die Bewegungen rückrufend-erfüllend stillt, ist sie die Stille.

Die Stille ist das Zurückrufen, das grüßend in das Holde zeigt, das die Huld im heilenden Riß zur Gunst des Hehls verfügt.

Das grüßend-zeigende Zurückrufen der Stille ist das Winken. Die aus dem Riß winkende Stille der Huld ist das Wesen des Wortes. Die Stille der Huld ist der wiegende Schooß des Ereignisses. In diesem Schooß ist das Menschenwesen gesät als dessen Gedächtnis.

Säen ist untergehen lassen in die holde Stille des innigen Hehls zum Aufgang in das erblühende Reifen des Dankes, der alles Andenken in das Einzige des Ereignisses verheilt.

Weil das Menschenwesen also gesät ist in den Schooß der Huld, diese aber den heilenden Schied vereignet in das entgegnende Grüßen des Risses und der Heitere, deshalb ist auch dem Gedächtnis das zwiefache Andenken zugewogen gemäß der Zwiefalt der weilenden Weite, die dem Hehl des Geheimnisses entstammt.

Die weilende Weite des Risses ist die Tiefe.

Die weitende Weile der Heitere ist die Höhe.

Die Tiefe selbst geht nicht unter. Ihr eignet das dunkelnde Erstaunen, wodurch die Höhe sich lichtet in die neigende Ankunft der Huld. In ihrem Erstaunen ist die Tiefe hoch erhoben in die Höhe.

Die Höhe selbst geht nicht auf. Ihr eignet das lichtende Ersinnen, wodurch die Tiefe sich schließt in die fernende Nähe der Huld. In ihrem Ersinnen ist die Höhe tief ersunken in die Tiefe.

Die Tiefe erstaunt die Höhe.

Die Höhe ersinnt die Tiefe.


Martin Heidegger (GA 74) Zum Wesen der Sprache und zur Frage nach der Kunst

GA 74