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Die Einzigkeit des Dichters

heißt Kommendes, dann wäre das Gedichtete dieses Dichters hinsichtlich der Zeit so ausgezeichnet, daß die Einzigkeit dieses Dichters unmittelbar ins Licht tritt.

Dichten könnte sein das dem Wort des Seyns nach-sagende Vorsagen (diktieren eines Gehörten) in die noch ungesprochene Sage, in die die Sprache eines Volkes verwahrt wird.

Dieser einzige Dichter ist Hölderlin. Die Einzigkeit ist ihm geschickt aus der Schickung, die sein Sagen dazu bestimmt, im nachsagenden Vorsagen des ergangenen Rufes des Seyns zugleich das mit diesem Ruf gerufene Wesen des Dichters und der Dichtung, den »Dichterberuf« zu dichten.

Wenn aber in solcher Schickung das Seyn selbst sich ins Wort bringt, dann muß auch die also geschickte Dichtung das Seyn selbst und das heißt dessen Wahrheit dichten: daß und wie das Seyn sich ereignet und nur im Ereignis geschicktes und das heißt Geschichte ist.

Der Dichter, der das Wesen der Dichtung in seinem Gedichteten mitdichtet, dichtet die Geschichte selbst und das heißt das Geschickte, aus der Zukunft Kommende: die kommende Zeit. Das Sagen des Dichters sagt daher »vor der Zeit«. Die Zeit, in die der Dichter gehört als der Dichter ihres Kommenden, folgt erst und vielleicht erst lange Zeit später auf die zeitgenössische Zeit des Dichters.

Darum sagt Hölderlin über den »Dichterberuf« im ersten Entwurf des dritten Gesanges der Elegie »Brod und Wein« (IV, 319):

Vor der Zeit! ist Beruf der heiligen Sänger und also
Dienen und wandeln sie grossem Geschike voran.

In der endgültigen Fassung des dritten Gesangs heißt es dann:

... So komm! dass wir das Offene schauen,
Dass ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist.

Martin Heidegger (GA 75) Zu Hölderlin - Griechenlandreisen

GA 75