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Das abendländische Gespräch

D.Ä. Weil wir zu übereilt alles fassen und nur vorstellen wollen, weil wir immer wieder vergessen, daß selbst dann, wenn das Schickliche gefunden ist, es einer langen Zeit bedarf, bis das Wahre, dem wir vertrauen, sich ereignet; mag indessen auch vieles geschehen, es ist immer noch, als ob es uns nicht anginge, weil es uns nicht nahe geht und nicht nahe gehen kann.

D.J. Weil wir Nähe noch nicht kennen und die Weite des Herzraums, um das Geschick zu empfangen und zu haben und im Schicklichen zu wohnen, d.h. in den schicklichen eigenen Feiertagen das geschickliche Fest zu feiern.

D.Ä. Insofern dieses alles noch nicht ist und solange wir das Geschickliche noch nicht als den Fund zu eigen haben, um in ihm als dem Eigentum zu wohnen, muß ein anderer noch helfen, jener, mit dem die vorige Zeit geendet, auf welche Zeit die Nacht folgt, die wir erst durchwachen müssen, um aus ihr »dem Tag« entgegenzugehen.

D.J. Mit dem Verstehen der Prüfung beginnt erst das Warten auf den Tag und dem zuvor das Ahnen der Morgendämmerung.

D.Ä. Deshalb folgt auf das Wort »Glaube, wer es geprüft!« ein »aber«:

... aber so vieles geschieht
Keines wirket, denn wir sind herzlos, Schatten, bis unser
Vater Äther erkannt jeden und allen gehört.
Aber indessen kommt als Fakelschwinger des Höchsten
Sohn, der Syrier, unter die Schatten herab.

D.J. Das kommende Geschick des Abendlandes, wodurch es vielleicht erst in sein Wesen geschickt wird, zögert noch; und gesagt ist, warum es noch zögert und bis wann. Warum aber das Geschick »Frucht von Hesperien« ist, insofern das Schickliche des Geschickes den Sänger dieses Gesangs und seine Verwandten angeht; inwiefern »wir es sind«, auf die


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GA 75