DER GELEHRTE: Im vorigen Herbst trafen wir uns zum ersten Mal auf diesem Feldweg. Dieses Zusammentreffen war ein schöner Zufall, denn ich verdanke ihm eine kostbare Anregung. Mir fiel ein altes griechisches Wort ein, das mir seitdem geeignet scheint, das, was wir suchen, gut zu nennen.


DER FORSCHER: Schön war unser Treffen gewiß, aber kein Zufall. Was wir so nennen, ist jeweils nur die noch bestehende Lücke in der Kette unserer Erklärungen. Das Loch, das so lange bleibt, als wir die erklärende Ursache nicht festgestellt haben, stopfen wir gern mit dem Namen »Zufall« zu. Die Ursache für unser Begegnen, das sich inzwischen so fruchtbar wiederholte, liegt jedoch auf der Hand. Jeder von uns wünschte, sich von der täglichen Arbeit durch eine Zerstreuung zu befreien.


DER GELEHRTE: Das Gleichartige unserer Beschäftigung hat uns denn auch rasch auf den Gegenstand unseres damaligen Gespräches gebracht. Wir sprachen über das Erkennen.


Dan FORSCHER: Die Erörterungen verloren sich zwar leicht in schwer faßliche Allgemeinheiten. Oft war mir, als redeten wir nur noch über bloße Wörter. Die Unterhaltung bot gleichwohl eine Zerstreuung, die mich von den mühsamen Experimenten ablenkte, die ich damals zum Zwecke der Erforschung der Höhenstrahlen begonnen hatte.


DER GELEHRTE: In der Tat waren die Bestimmungen über das Erkennen, die wir im Anschluß an Kants »Kritik der reinen Vernunft« durchsprachen, recht »allgemein« gefaßt. Was kann nicht alles in den Titeln »Anschauung« und »Denken«, aus denen nach Kant das Erkennen bestehen soll, untergebracht werden. Der Physiker unter uns forderte daher von seinem Standort aus mit Recht eine experimentelle Erforschung


Martin Heidegger (GA 77) Feldweg-Gespräche

GA 77