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I Vortrag

Fichte hat diesen Sachverhalt in die Form gebracht »Ich = Ich«. Im Unterschied zur Formel für den Satz der Identität Α = Α, der formal für jedes beliebig Vorstellbare gilt, ist der Satz »Ich = Ich« inhaltlich bestimmt, ähnlich dem Satz, den wir ζ. B. von jedem einzelnen Baum sagen können: »Baum = Baum«. Fichte zeigt nun aber in seiner »Wissenschaftslehre« von 1794, daß der Satz »der Baum ist Baum« keineswegs dem Satz »Ich bin Ich« gleichgeordnet werden darf. Natürlich nicht, werden wir sagen, denn ein Baum und mein »Ich« sind etwas inhaltlich Verschiedenes. Indes fallen doch alle Sätze dieser Form, Baum = Baum, Punkt = Punkt, Ich = Ich unter den formal leeren und deshalb allgemeinsten Satz Α = A. Allein, gerade dies ist nach Fichte ausgeschlossen. Vielmehr ist der Satz »Ich bin Ich« die Aussage für jene Tathandlung des Ich, d. h. des Subjekts, durch die erst der Satz Α = Α gesetzt wird. Der Satz Ich = Ich ist umfassender als der formal allgemeine Satz Α = Α —, ein erregender Sachverhalt, über den wir keineswegs zuviel sagen, wenn wir behaupten, das, woran er rührt, sei bis zur Stunde nicht ins Reine und d. h. für das Denken stets, in seine anfängliche Fragwürdigkeit gebracht.

Das Denken ist zuerst nicht Objekt für die Grundsätze, sondern ihr Subjekt. Der Genitiv im Titel »Grundsätze des Denkens« ist ein genitivus subiectivus. Aber die Grundsätze sind solche doch auch für das Denken, gehen es an. Der Genitiv im Titel ist auch ein genitivus obiectivus. Darum sagen wir vorsichtiger: Der Titel »Grundsätze des Denkens« kündigt etwas Doppeldeutiges an. Darum stellt er uns vor folgende Fragen, die ineinander verkettet sind: Können wir und müssen wir den Titel zu einer Eindeutigkeit bringen und ihn demgemäß entweder als genitivus obiectivus oder nur als genitivus subiectivus deuten? Oder müssen wir dieses »Entweder-Oder« fahren und statt seiner das »Sowohl-als auch« gelten lassen? Das »Sowohlals auch« ist eine gern aufgesuchte Zuflucht des Denkens, wenn es darauf rechnet, ins Fraglose auszuweichen.

Das bloße »Sowohl-als auch« ist jedoch nur der Vorwand, das


Martin Heidegger (GA 79) Bremer und Freiburger Vorträge

GA 79