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III Dasein und Wahrsein (nach Aristoteles)

zu einer Position jenseits beider. Aber diese Diskussion ist nur die Bejahung der genannten Voraussetzungen in der Potenz. Die Diskussion nimmt immer den thematischen Ansatz: Subjekt — Objek t und Beziehung zwischen beiden, und rätselt darüber, wie sie zueinanderkommen.

Wir verfolgen diese Diskussion zwischen Realismus und Idealismus und deren Vermittlungen nicht weiter, weil sie unergiebig sind, und sie sind unergiebig, weil sie, bei allem Scharfsinn, oder gerade, weil man einzig diesen spielen läßt, blind sind. Die gemachten Voraussetzungen der feindlichen Brüder sind bodenlos, sie vollziehen sich ohne ursprüngliche Aneignung des Tatbestandes, von dem unter dem Titel Subjekt-Objekt-Beziehung gesprochen wird.

Statt auf diese Diskussion einzugehen und durch einen neuen Vorschlag zu mehren, wollen wir auf den fast ganz unkenntlichen Rest von wirklichem Boden6 zurückgellen, der in der Diskussion des Wahrheitsbegriffes noch zum Vorschein kommt und die Überlegungen leitet.

Es ist die Berufung [auf7] Aristoteles, der gesagt haben soll: Wahrheit ist ursprünglich der Charakter des Urteils. Wie steht es mit der Äußerung des Aristoteles hierüber? De interpretatione cap. 4 [17 a 1 sqq.]: »Es ist zwar alles Reden so, daß es von etwas spricht;8 nicht aber ist jedes so, daß es das, wovon es spricht, ausdrücklich aufzeigt, sehen läßt. Nicht jedes Reden über hat den Sinn als Reden, das, worüber die Rede ist, an ihm selbst aufzuzeigen und nur aufzuzeigen. Vielmehr läßt nur die Rede sehen, in der im vorhinein da ist das Wahrsein oder Falschsein. Dies ist aber nicht in jeder Rede da; so ist das Bitten ein Reden von, aber weder wahr noch falsch.«9


6 Subjekt-Objekt-Beziehung verständlich — klar!

7 [In der Handschrift steht:] des (Aristoteles).

8 Alles Reden spricht von etwas.

9 Aufforderung — Herein! »Bitte, treten Sie ein« — »Darf ich eintreten?«


Martin Heidegger (GA 80-1) Vortraege und Aufsaetze

GA 80-1