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IV. Wilhelm Diltheys Forschungsarbeit

Sich-Aussprechen über etwas, und zu und mit Anderen. Das Besprochene wird durch das Besprechen anderer aufgedeckt und zugänglich. Der λίγο« ist δηλουν.51 Die Möglichkeit des Geredes hat aber gerade für das menschliche Dasein die Tendenz, zu verfallen. Es ist die Möglichkeit, deren sich das Man bemächtigt. charakteristisch, daß das Reden zumeist nicht aus ursprünglicher Sachkenntnis entspringt. Es ist faktisch unmöglich, alles selbst gesehen und ausgewiesen zu haben. Ein weites Ausmaß des Redens entspringt aus dem Hörensagen. Es charakterisiert das Nachreden, daß das Gesagte sich in seiner Gültigkeit verhärtet und sich zugleich entfernt von der Sache. Je mehr das Gerede herrscht, umso mehr wird die Welt verdeckt. So hat das alltägliche Dasein die Tendenz der Verdeckung der Welt und damit seiner selbst. Diese Tendenz der Verdeckung ist nichts anderes als die Flucht des Daseins vor sich selbst in die 0ffentlichkeit. Diese Flucht in die 0ffentlichkeit wird noch wichtig für das Verstandnis des Phänomens der Zeit.

Wir handeln hier nicht von Akten, von Bewußtseinserlebnissen, sondern von bestimmten Weisen des Seins-in-der-Welt. Wir bestimmen dieses Dasein zunächst als umgehendes Besorgen der Welt. Dieses Besorgen bedeutet immer ein Mitbesorgen meiner selbst. Der eigentliche Seinscharakter des Daseins ist also die Sorge. Dies Phänomen ist schon lange entdeckt, sein Begriff und seine Erfahrung sind alt. Es ist aber nie dazu gekommen, dies Phänomen in den ursprünglichen Ansatz zu nehmen.

An diesem Punkt ist eine kritische Frage zu stellen: Kann man überhaupt auf diesem Wege der Beschreibung zu irgendwelchen Begriffen kommen, die menschliche Dasein im Ganzen, als geschlossene Wirklichkeit, bestimmen? Ich kann es immer nur bestimmen als ein Lebendiges, das immer noch ein Noch-nicht-Sein vor sich ha, Wenn ich aber „ich, mehr lebe, bin ich nicht mehr imstande, die Ganzheit zu erfahren. Wen., das Leben fertig, ganz ist, dann ist es gerade nicht mehr. Man darf dieser Schwierigkeit


51 [Ebd.]


Martin Heidegger (GA 80-1) Vorträge (Teil 1: 1915-1932)

GA 80-1