[6. Sitzung vom 20. Mai 1936]
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Ergänzung: (betr. Empfindung und Gefühl)
»Grüne Wiese«.450 Es liegt vor der Sachgehalt des »grünen«. Grün ist Farbe, etwas Empfundenes. Das Grün, die Farbe ist objektive Empfindung = eine zum Objekt gehörige Empfindung.
Wenn ich aber sage, diese grüne Wiese ist lieblich, so ist das Liebliche eine subjektive Empfindung. Worin besteht da die subjektive Empfindung? Diese Art des Affizierwerdens und demgemäß des Sich-dabei-befindens (das Angenehmsein) wird auch als Empfindung bezeichnet. Die Lieblichkeit gehört aber nicht zum Sachgehalt der Wiese, sondern sie hat Bezug auf meinen Zustand. Die Lieblichkeit ist eine subjektive Empfindung. Diese subjektive Empfindung will Kant künftig mit Gefühl benennen [vgl. K. d. U. §3, C10]. Das Grün der Wiese als empfundenes ist objektive Empfindung, und als so empfundenes die Lieblichkeit auslösend, ist es subjektive Empfindung.
Aber nicht jedes Gefühl entspricht einer Empfindung. Es gibt Gefühle, die nicht auf Empfindung beruhen; gerade eins solches Gefühl ist der Geschmack. Der Empfindung im objektiven Sinne entspricht auch subjektiv ein Gefühl, aber nicht umgekehrt entspricht jedem Gefühl, als einem Zustand meiner selbst, eine Empfindung.
II. Ergänzung: Kant gebraucht den Ausdruck Gemüt in der Absicht, die ganze Weite der Subjektivität zu umfassen und auszudrücken. Aber in Wahrheit bleibt sein Begriff des Subjekts doch in Descartes’ Ich-begriff stecken. Welche Folgen das hat, werden wir später sehend.451
(Protokollant Mäder452)
450 [Zu diesem Beispiel vgl. Kritik der Urteilskraft §3, C9; vgl. auch §14, C39.]
451 [Vgl. die Mitschrift der vorliegenden Sitzung, S.413; ferner die Mitschrift der 11. und letzten Sitzung vom 24. Juni 1936, S. 475 und 478.]
452 [Der als Protokollant genannte Seminarteilnehmer Heinz Maeder ist sowohl in Heideggers Seminarbuch als auch in der Akademischen Quästur (Zahlungsliste der Zuhörer) verzeichnet. Das Protokoll wurde sicherlich von Maeder handschriftlich in das verschollene Protokollheft eingetragen.]