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Die vollständigen Protokolle

Boas. [Theil] I. [Stuttgart und Tübingen: Cotta] 1851, S. 225[Votivtafeln, Nr. 440: Unterschied der Stände33]): »Auch in der sittlichen Welt ist ein Adel; gemeine Naturen zahlen mit dem, was sie tun, schöne mit dem, was sie sind.« Zu diesem Adel zu erziehen, ist Schillers Aufgabe für mehr als ein Jahrhundert (Brief 7 letzter Absatz)34

Die Erziehung zum ästhetischen Zustand ist also Erziehung zum Adel des geschichtlichen Menschen. So handeln die Schiller’schen Briefe vom Adel des geschichtlichen Menschen.

Stellen wir zusammenfassend noch einmal fest:

Kunst als Darstellung des Schönen ist Voraussetzung für den ästhetischen Zustand als dem Grundzustand des Menschen.

Der ästhetische Zustand ist Möglichkeit des Adels des geschichtlichen Menschen. Der Adel des geschichtlichen Menschen [ist] notwendig zur politischen Freiheit des Menschen im Staat.

In großen Zügen ist dies die Linie, die Schiller vom Schönen zur Geschichte zieht. Er kennzeichnet mit diesem Schritt zur Geschichte seine, über Kant hinausgehende Stellung zum Schönen. Wie geht nun Schiller aber bei der Verfolgung seiner Aufgabe vor?

Das war die zweite Frage, die wir uns stellten. Entsprechend dem Ziel der politischen Freiheit wird die politische Unfreiheit in seiner Zeit zum Ausgangspunkt der Briefe.

Im 1.—10. Brief wird von hier aus die Notwendigkeit der Schönheit, des ästhetischen Zustandes, für die politische Freiheit auf rein spekulativem Wege erwiesen. (Brief 2 Ende: »[...] weil es die Schönheit ist, durch welche man zu der Freiheit wandert.«35)


33 [Ebenso in der vollständigen Ausgabe von Eugen Kühnemann in der Philosophischen Bibliothek (Bd.103): Schillers philosophische Schriften und Gedichte (Auswahl), a.a.O., Tabulae votivae, Nr.5, S.412. Geringfügig umgestellter Text auch in: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 2. Teil I. Weimer: Böhlau 1983, Votivtafeln, S. 314—326; hier S. 315.]

34 [Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, hg. von Eugen Kühnemann, a.a.O., S. 180; Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 20, a.a.O., S. 329.]

35 [Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, hg. von Eugen Kühnemann, a.a.O., S. 162; Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 20, a.a.O., S. 312.]


Martin Heidegger (GA 84 II) Seminare - Kant-Leibniz-Schiller

GA 84-2