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Überlegungen VIII

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Was jetzt geschieht, ist das Ende der Geschichte des großen Anfangs des abendländischen Menschen, in welchem Anfang der Mensch zur Wächterschaft des Seyns berufen wurde, um alsbald diese Berufung umzuwandeln in den Anspruch der Vor-stellung des Seienden in seinem machenschaftlichen Unwesen.

Das Ende dieses ersten Anfangs aber ist kein Aufhören, sondern ein eigenes Beginnen, das aber sich selbst in seiner Wahrheit entzogen bleibt, weil es alles zur bloßen Oberfläche zurechtmachen muß; denn nur noch aus der Einrichtung der Oberfläche und dem Tanz auf dieser kann der jetzige Mensch, so, wie er sich kennt (als Subjektum), sich bestätigt finden. Bestätigung aber braucht er, weil er längst das Wagnis des Seyns verlassen und sich auf die Züchtung und Errechnung aus dem Vorhandenen verlassen hat. Was jetzt als dieses Ende geschieht, bleibt daher gerade denen zuerst und endgültig zu wissen versagt, die ausersehen sind, dieses Ende in seinen endlichsten Formen (d. h. des Riesigen) zu beginnen und das Geschichtslose in der Maske des Historischen als »die« Geschichte auszugeben. Von hier aus gibt es keinen Übergang in den anderen Anfang. Der Übergang muß das Geschichtslose als den äußerlichsten grauen Abschaum einer verborgenen Geschichte erkennen, damit er durch einen weiten fragenden Vorsprung den Menschen in die Geschichte rette.

Im Geschichtslosen kommt dasjenige, was nur innerhalb seiner zusammengehört, auch am ehesten in die Einheit der völligen Vermischung; das scheinbare Aufbauen und Erneuern und die völlige Zerstörung -beides ist dasselbe -Bodenlose -dem nur Seienden Verfallene und dem Seyn Entfremdete. Sobald das | Geschichtslose sich »durchgesetzt« hat, beginnt die Zügellosigkeit des »Historismus« -; das Bodenlose in den verschiedensten und gegensätzlichsten Gestalten gerät -ohne sich als gleichen Unwesens zu erkennen -in die äußerste Feindschaft und Zerstörungssucht.

Und vielleicht »siegt« in diesem »Kampf«, in dem um die Ziellosigkeit schlechthin gekämpft wird und der daher nur das Zerrbild


Martin Heidegger (GA 95) Überlegungen VII-XI (Schwarze Hefte 1938-39)

GA 95