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Anmerkungen II

dazu dienen, auf die Kluft zwischen Glauben und Denken hinzuweisen.

Das Denken ist für den Glauben eine Torheit und das Unmögliche ist der Glaube für das Denken.

Aber beide sind einig, indem sie sich anerkennen; die Anerkennung besteht in der Forderung des Glaubens, daß das Denken Denken, und in der Forderung des Denkens, daß der Glaube Glaube sei. Diese Forderung wird jedoch als gemäße nicht dadurch lebendig, daß sie sich von beiden her ausspricht, sondern nur so, daß der Glaube ein Glaube ist und das Denken ein Denken. Also waltet in solchem Anerkennen doch ein Streit. Allerdings. Aber ein Streit, der nicht innerhalb und nicht durch menschliches Wollen geschlichtet wird. Vereinfacht ist der Streit verborgenerweise.


Denken -nämlich das Zu-Denkende, heißt: Das Ungedachte, das auf das Denken wartet, erfahren. Das Ungedachte ist jedoch nicht etwas Neues, sondern das Älteste des Alten, für das wir stets zu jung sind. Dies Älteste kommt hinter uns her und gleichwohl auf uns zu.

Das Denken ist, insofern es dieses zwiefältig Kommenden eingedenk bleibt, Andenken. In ihm vollzieht sich die Ausfahrt, durch die wir die Wahrheit des Seyns er-langen. Darum ist das Denken als Andenken die eigentliche Erfahrung des Menschen.


Immer wieder ruft die Philosophie das Denken zur Sache. Aber »die Sache selbst«, bei der Hegel sich aufhält, nämlich die Darstellung der Wirklichkeit als das Sicherscheinen des absoluten Wissens, ist nicht gleich mit der Sache, die Nietzsche in der ewigen Wiederkehr des Gleichen im Sinne des Willens zur Macht darstellt. Doch vermutlich ist die jedesmal ungleiche Sache gleichwohl die selbe Sache. Allein, worin besteht das Selbe der Sache der Philosophie? Mit ihrem Ruf »Zur Sache selbst« hat sie noch nicht entschieden, was ihre Sache selbst als die jeweils Selbe ist. Noch weniger hat sich entschieden und läßt sich vielleicht durch die Philosophie | überhaupt nicht entscheiden, weil aus ihr


Martin Heidegger (GA 97) Anmerkungen I-V (Schwarze Hefte) (1942-48)

GA 97