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Damit ist aber auch der ontische Vorrang der Seinsfrage deutlich geworden.

Der ontisch-ontologische Vorrang des Daseins wurde schon früh gesehen, ohne daß dabei das Dasein selbst in seiner genuinen ontologischen Struktur zur Erfassung kam oder auch nur dahinzielendes Problem wurde. Aristoteles sagt: ἡ ψυχὴ τὰ ὄντα πώς ἐστιν.1 Die Seele (des Menschen) ist in gewisser Weise das Seiende; die »Seele«, die das Sein des Menschen ausmacht, entdeckt in ihren Weisen zu sein, αἲσθησις und νόησις, alles Seiende hinsichtlich seines Daß- und Soseins, d. h. immer auch in seinem Sein. Diesen Satz, der auf die ontologische These des Parmenides zurückweist, hat Thomas v. A. in eine charakteristische Erörterung aufgenommen. Innerhalb der Aufgabe einer Ableitung der »Transzendentien«, d. h. der Seinscharaktere, die noch über jede mögliche sachhaltig-gattungsmäßige Bestimmtheit eines Seienden, jeden modus specialis entis hinausliegen und die jedem Etwas, mag es sein, was immer, notwendig zukommen, soll auch das verum als ein solches transcendens nachgewiesen werden. Das geschieht durch die Berufung auf ein Seiendes, das gemäß seiner Seinsart selbst die Eignung hat, mit jeglichem irgendwie Seienden »zusammenzukommen«. Dieses ausgezeichnete Seiende, das ens, quod natum est convenire cum omni ente, ist die Seele (anima).2 Der hier hervortretende, obzwar ontologisch nicht geklärte Vorrang des »Daseins« vor allem anderen Seienden hat offensichtlich nichts gemein mit einer schlechten Subjektivierung des Alls des Seienden. –

Der Nachweis der ontisch-ontologischen Auszeichnung der Seinsfrage gründet in der vorläufigen Anzeige des ontisch-ontologischen Vorrangs des Daseins. Aber die Analyse der Struktur der Seinsfrage als solcher (§ 2) stieß auf eine ausgezeichnete Funktion dieses Seienden innerhalb der Fragestellung selbst. Das Dasein enthüllte sich hierbei als das Seiende, das zuvor ontologisch zureichend ausgearbeitet sein muß, soll das Fragen ein durchsichtiges werden. Jetzt hat sich aber gezeigt, daß die ontologische Analytik des Daseins überhaupt die Fundamentalontologie ausmacht, daß mithin das Dasein als das grundsätzlich vorgängig auf sein Sein zu befragende Seiende fungiert.

Wenn die Interpretation des Sinnes von Sein Aufgabe wird, ist das Dasein nicht nur das primär zu befragende Seiende, es ist überdies



1 de anima Γ 8, 431 b 21, vgl. ib. 5, 430 a 14 sqq.

2 Quaestiones de veritate qu. I a l c, vgl. die z. T. strengere und von der genannten abweichende Durchführung einer »Deduktion« der Transzendentien in dem Opusculum »de natura generis«.


Martin Heidegger - Sein und Zeit