B. Der Begriff des Logos
Der Begriff des λόγος ist bei Plato und Aristoteles vieldeutig und zwar in einer Weise, daß die Bedeutungen auseinanderstreben, ohne positiv durch eine Grundbedeutung geführt zu sein. Das ist in der Tat nur Schein, der sich so lange erhält, als die Interpretation die Grundbedeutung in ihrem primären Gehalt nicht angemessen zu fassen vermag. Wenn wir sagen, die Grundbedeutung von λόγος ist Rede, dann wird diese wörtliche Übersetzung erst vollgültig aus der Bestimmung dessen, was Rede selbst besagt. Die spätere Bedeutungsgeschichte des Wortes λόγος und vor allem die vielfältigen und willkürlichen Interpretationen der nachkommenden Philosophie verdecken ständig die eigentliche Bedeutung von Rede, die offen genug zutage liegt. λόγος wird »übersetzt«, d. h. immer ausgelegt als Vernunft, Urteil, Begriff, Definition, Grund, Verhältnis. Wie soll aber »Rede« sich so modifizieren können, daß λόγος all das Aufgezählte bedeutet und zwar innerhalb des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs? Auch wenn λόγος im Sinne von Aussage verstanden wird, Aussage aber als »Urteil«, dann kann mit dieser scheinbar rechtmäßigen Übersetzung die fundamentale Bedeutung doch verfehlt sein, zumal wenn Urteil im Sinne irgendeiner heutigen »Urteilstheorie« begriffen wird. λόγος besagt nicht und jedenfalls nicht primär Urteil, wenn man darunter ein »Verbinden« oder eine »Stellungnahme« (Anerkennen – Verwerfen) versteht.
λόγος als Rede besagt vielmehr soviel wie δηλουν, offenbar machen das, wovon in der Rede »die Rede« ist. Aristoteles hat diese Funktion der Rede schärfer expliziert als ἀποφαίνεσθαι.1 Der λόγος läßt etwas sehen (φαίνεσθαι), nämlich das, worüber die Rede ist und zwar für den Redenden (Medium), bzw. für die miteinander Redenden. Die Rede »läßt sehen« ἀπὸ ... von dem selbst her, wovon die Rede ist. In der Rede (ἀπόφανσις) soll, wofern sie echt ist, das, was geredet ist, aus dem, worüber geredet wird, geschöpft sein, so daß die redende Mitteilung in ihrem Gesagten das, worüber sie redet, offenbar und so dem anderen zugänglich macht. Das ist die Struktur des λόγος als ἀπόφανσις. Nicht jeder »Rede« eignet dieser Modus des Offenbar-machens im Sinne des aufweisenden Sehenlassens. Das Bitten (εὐχή) z. B. macht auch offenbar, aber in anderer Weise.
Im konkreten Vollzug hat das Reden (Sehenlassen) den Charakter des Sprechens, der stimmlichen Verlautbarung in Worten. Der λόγος
1 Vgl. de interpretatione cap. 1-6. Ferner Met. Z. 4 und Eth. Nic. Z.