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und Bewandtnisganzheit ausging, erweckt sie den Anschein, als sei in der Tat das Sein dieses Seienden aufgeklärt oder auch nur Problem geworden. So wenig wie Descartes mit der extensio als proprietas das Sein der Substanz trifft, so wenig kann die Zuflucht zu »wertlichen« Beschaffenheiten das Sein als Zuhandenheit auch nur in den Blick bringen, geschweige denn ontologisch zum Thema werden lassen.

Descartes hat die Verengung der Frage nach der Welt auf die nach der Naturdinglichkeit als dem zunächst zugänglichen, innerweltlichen Seienden verschärft. Er hat die Meinung verfestigt, das vermeintlich strengste ontische Erkennen eines Seienden sei auch der mögliche Zugang zum primären Sein des in solcher Erkenntnis entdeckten Seienden. Es gilt aber zugleich einzusehen, daß auch die »Ergänzungen« der Dingontologie sich grundsätzlich auf derselben dogmatischen Basis bewegen wie Descartes.

Wir deuteten schon an (§ 14), daß das Überspringen der Welt und des zunächstbegegnenden Seienden nicht zufällig ist, kein Versehen, das einfach nachzuholen wäre, sondern daß es in einer wesenhaften Seinsart des Daseins selbst gründet. Wenn die Analytik des Daseins die im Rahmen dieser Problematik wichtigsten Hauptstrukturen des Daseins durchsichtig gemacht hat, wenn dem Begriff des Seins überhaupt der Horizont seiner möglichen Verständlichkeit zugewiesen ist und so auch erst Zuhandenheit und Vorhandenheit ontologisch ursprünglich verständlich werden, dann läßt sich erst die jetzt vollzogene Kritik der cartesischen und grundsätzlich heute noch üblichen Weltontologie in ihr philosophisches Recht setzen.

Hierfür muß gezeigt werden (vgl. I. Teil, Abschnitt 3):

1. Warum wurde im Anfang der für uns entscheidenden ontologischen Tradition – bei Parmenides explizit – das Phänomen der Welt übersprungen; woher stammt die ständige Wiederkehr dieses Überspringens?

2. Warum springt für das übersprungene Phänomen das innerweltlich Seiende als ontologisches Thema ein?

3. Warum wird dieses Seiende zunächst in der »Natur« gefunden?

4. Warum vollzieht sich die als notwendig erfahrene Ergänzung solcher Weltontologie unter Zuhilfenahme des Wertphänomens?

In den Antworten auf diese Fragen ist erst das positive Verständnis der Problematik der Welt erreicht, der Ursprung ihrer Verfehlung aufgezeigt und der Rechtsgrund einer Zurückweisung der traditionellen Weltontologie nachgewiesen.


Martin Heidegger - Sein und Zeit