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        Der Entwurf betrifft immer die volle Erschlossenheit des In-der- 
        Welt-seins; das Verstehen hat als Seinkönnen selbst Möglichkeiten, 
        die durch den Umkreis des in ihm wesenhaft Erschließbaren 
        vorgezeichnet sind. Das Verstehen kann sich primär in die 
        Erschlossenheit der Welt legen, das heißt das Dasein kann sich 
        zunächst und zumeist aus seiner Welt her verstehen. Oder aber 
        das Verstehen wirft sich primär in das Worumwillen, das heißt 
        das Dasein existiert als es selbst. Das Verstehen ist entweder 
        eigentliches, aus dem eigenen Selbst als solchem entspringendes, 
        oder uneigentliches. Das »Un-« besagt nicht, daß sich das Dasein 
        von seinem Selbst abschnürt und »nur« die Welt versteht. Welt 
        gehört zu seinem Selbstsein als In-der-Welt-sein. Das eigentliche 
        ebensowohl wie das uneigentliche Verstehen können wiederum 
        echt oder unecht sein. Das Verstehen ist als Seinkönnen ganz und 
        gar von Möglichkeit durchsetzt. Das Sichverlegen in eine dieser 
        Grundmöglichkeiten des Verstehens legt aber die andere nicht ab. 
        Weil vielmehr das Verstehen jeweils die volle Erschlossenheit des 
        Daseins als In-der-Welt-sein betrifft, ist das Sichverlegen des 
        Verstehens eine existenziale Modifikation des Entwurfes als ganzen. 
        Im Verstehen von Welt ist das In-Sein immer mitverstanden, 
        Verstehen der Existenz als solcher ist immer ein Verstehen von 
        Welt.
        Als faktisches Dasein hat es sein Seinkönnen je schon in eine
        Möglichkeit des Verstehens verlegt.
        Das Verstehen macht in seinem Entwurfcharakter existenzial
        das aus, was wir die Sicht des Daseins nennen. Die mit der
        Erschlossenheit des Da existenzial seiende Sicht ist das Dasein
        gleichursprünglich nach den gekennzeichneten Grundweisen
        seines Seins als Umsicht des Besorgens, Rücksicht der Fürsorge,
        als Sicht auf das Sein als solches, umwillen dessen das Dasein je
        ist, wie es ist. Die Sicht, die sich primär und im ganzen auf die
        Existenz bezieht, nennen wir die Durchsichtigkeit. Wir wählen
        diesen Terminus zur Bezeichnung der wohlverstandenen »Selbsterkenntnis
        «, um anzuzeigen, daß es sich bei ihr nicht um das
        wahrnehmende Aufspüren und Beschauen eines Selbstpunktes
        handelt, sondern um ein verstehendes Ergreifen der vollen
        Erschlossenheit des In-der-Welt-seins durch seine wesenhaften
        Verfassungsmomente hindurch. Existierend Seiendes sichtet
        »sich« nur, sofern es sich gleichursprünglich in seinem Sein bei
        der Welt, im Mitsein mit Anderen als der konstitutiven Momente
        seiner Existenz durchsichtig geworden ist.
        Umgekehrt wurzelt die Undurchsichtigkeit des Daseins nicht
        einzig und primär in »egozentrischen» Selbsttäuschungen,
        sondern ebensosehr in der Unkenntnis der Welt.