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beginnt mit dem Satze: πάντες ἄνθρόποι τοῦ εἰδέναι ὀρέγονται φύσει1. Im Sein des Menschen liegt wesenhaft die Sorge des Sehens. Damit wird eine Untersuchung eingeleitet, die den Ursprung der wissenschaftlichen Erforschung des Seienden und seines Seins aus der genannten Seinsart des Daseins aufzudecken sucht. Diese griechische Interpretation der existenzialen Genesis der Wissenschaft ist nicht zufällig. In ihr kommt zum expliziten Verständnis, was im Satz des Parmenides vorgezeichnet ist: τὸ γὰρ αὐτὸ νοεῖν ἐστίν τε καὶ εἶναι. Sein ist, was im reinen anschauenden Vernehmen sich zeigt, und nur dieses Sehen entdeckt das Sein. Ursprüngliche und echte Wahrheit liegt in der reinen Anschauung. Diese These bleibt fortan das Fundament der abendländischen Philosophie. In ihr hat die Hegelsche Dialektik das Motiv, und nur auf ihrem Grunde ist sie möglich.

Den merkwürdigen Vorrang des »Sehens« hat vor allem Augustinus bemerkt im Zusammenhang der Interpretation der concupiscentia2. Ad oculos enim videre proprie pertinet, das Sehen gehört eigentlich den Augen zu. Utimur autem hoc verbo etiam in ceteris sensibus cum eos ad cognoscendum intendimus. Wir gebrauchen aber dieses Wort »sehen« auch für die anderen Sinne, wenn wir uns in sie legen – um zu erkennen. Neque enim dicimus: audi quid rutilet; aut, olfac quam niteat; aut, gusta quam splendeat; aut, palpa quam fulgeat: videri enim dicuntur haec omnia. Wir sagen nämlich nicht: höre, wie das schimmert, oder rieche, wie das glänzt, oder schmecke, wie das leuchtet, oder fühle, wie das strahlt; sondern wir sagen bei all dem: sieh, wir sagen, daß all das gesehen wird. Dicimus autem non solum, vide quid luceat, quod soli oculi sentire possunt, wir sagen aber auch nicht allein: sieh, wie das leuchtet, was die Augen allein vernehmen können, sed etiam, vide quid sonet; vide quid oleat, vide quid sapiat, vide quam durum sit. Wir sagen auch: sieh, wie das klingt, sieh, wie es duftet, sieh, wie das schmeckt, sieh, wie hart das ist. Ideoque generalis experientia sensuum concupiscentia sicut dictum est oculorum vocatur, quia videndi officium in quo primatum oculi tenent, etiam ceteri sensus sibi de similitudine usurpant, cum aliquid cognitionis explorant. Daher wird die Erfahrung der Sinne überhaupt als »Augenlust« bezeichnet, weil auch die anderen Sinne aus einer gewissen Ähnlichkeit her sich die Leistung des Sehens aneignen, wenn es um ein Erkennen geht, in welcher Leistung die Augen den Vorrang haben.


1 Metaphysik A I, 980 a 21.

2 Confessiones lib. X, cap. 35.


Martin Heidegger - Sein und Zeit