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Weil das In-der-Welt-sein wesenhaft Sorge ist, deshalb konnte in den voranstehenden Analysen das Sein bei dem Zuhandenen als Besorgen, das Sein mit dem innerweltlich begegnenden Mitdasein Anderer als Fürsorge gefaßt werden. Das Sein-bei... ist Besorgen, weil es als Weise des In-Seins durch dessen Grundstruktur, die Sorge, bestimmt wird. Die Sorge charakterisiert nicht etwa nur Existenzialität, abgelöst von Faktizität und Verfallen, sondern umgreift die Einheit dieser Seinsbestimmungen. Sorge meint daher auch nicht primär und ausschließlich ein isoliertes Verhalten des Ich zu ihm selbst. Der Ausdruck »Selbstsorge« nach der Analogie von Besorgen und Fürsorge wäre eine Tautologie. Sorge kann nicht ein besonderes Verhalten zum Selbst meinen, weil dieses ontologisch schon durch das Sich-vorweg-sein charakterisiert ist; in dieser Bestimmung sind aber auch die beiden anderen strukturalen Momente der Sorge, das Schonsein-in ... und das Sein-bei... mitgesetzt.

Im Sich-vorweg-sein als Sein zum eigensten Seinkönnen liegt die existenzial-ontologische Bedingung der Möglichkeit des Freiseins für eigentliche existenzielle Möglichkeiten. Das Seinkönnen ist es, worumwillen das Dasein je ist, wie es faktisch ist. Sofern nun aber dieses Sein zum Seinkönnen selbst durch die Freiheit bestimmt wird, kann sich das Dasein zu seinen Möglichkeiten auch unwillentlich verhalten, es kann uneigentlich sein und ist faktisch zunächst und zumeist in dieser Weise. Das eigentliche Worumwillen bleibt unergriffen, der Entwurf des Seinkönnens seiner selbst ist der Verfügung des Man überlassen. Im Sich-vorweg-sein meint daher das »Sich« jeweils das Selbst im Sinne des Man-selbst. Auch in der Uneigentlichkeit bleibt das Dasein wesenhaft Sich-vorweg, ebenso wie das verfallende Fliehen des Daseins vor ihm selbst noch die Seinsverfassung zeigt, daß es diesem Seienden um sein Sein geht.

Die Sorge liegt als ursprüngliche Strukturganzheit existenzialapriorisch »vor« jeder, das heißt immer schon in jeder faktischen »Verhaltung« und »Lage« des Daseins. Das Phänomen drückt daher keineswegs einen Vorrang des »praktischen« Verhaltens vor dem theoretischen aus. Das nur anschauende Bestimmen eines Vorhandenen hat nicht weniger den Charakter der Sorge als eine »politische Aktion« oder das ausruhende Sichvergnügen. »Theorie« und »Praxis« sind Seinsmöglichkeiten eines Seienden, dessen Sein als Sorge bestimmt werden muß.

Daher mißlingt auch der Versuch, das Phänomen der Sorge in seiner wesenhaft unzerreißbaren Ganzheit auf besondere Akte oder


Martin Heidegger - Sein Und Zeit