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Stelle kommt? Liegt die Verkehrung der Frage schon im Ansatz, in der ontologisch ungeklärten Trennung des Realen und Idealen?

Und ist mit Rücksicht auf das »wirkliche« Urteilen des Geurteilten die Trennung von realem Vollzug und idealem Gehalt überhaupt unberechtigt? Wird die Wirklichkeit des Erkennens und Urteilens nicht in zwei Seinsweisen und »Schichten« auseinandergebrochen, deren Zusammenstückung die Seinsart des Erkennens nie trifft? Hat der Psychologismus darin nicht recht, daß er sich gegen diese Trennung sperrt, wenngleich er selbst die Seinsart des Denkens des Gedachten ontologisch weder aufklärt, noch auch nur als Problem kennt?

In der Frage nach der Seinsart der adaequatio bringt der Rückgang auf die Scheidung von Urteilsvollzug und Urteilsgehalt die Erörterung nicht vorwärts, sondern macht nur deutlich, daß die Aufklärung der Seinsart des Erkennens selbst unumgänglich wird. Die hierzu notwendige Analyse muß versuchen, zugleich das Phänomen der Wahrheit, das die Erkenntnis charakterisiert, in den Blick zu bringen. Wann wird im Erkennen selbst die Wahrheit phänomenal ausdrücklich? Dann, wenn sich das Erkennen als wahres ausweist. Die Selbstausweisung sichert ihm seine Wahrheit. Im phänomenalen Zusammenhang der Ausweisung muß demnach die Übereinstimmungsbeziehung sichtbar werden.

Es vollziehe Jemand mit dem Rücken gegen die Wand gekehrt die wahre Aussage: »Das Bild an der Wand hängt schief.« Diese Aussage weist sich dadurch aus, daß der Aussagende sich umwendend das schiefhängende Bild an der Wand wahrnimmt. Was wird in dieser Ausweisung ausgewiesen? Welches ist der Sinn der Bewährung der Aussage? Wird etwa eine Übereinstimmung der »Erkenntnis« bzw. des »Erkannten« mit dem Ding an der Wand festgestellt? Ja und nein, je nachdem phänomenal angemessen interpretiert wird, was der Ausdruck »das Erkannte« besagt. Worauf ist der Aussagende, wenn er – das Bild nicht wahrnehmend sondern »nur vorstellend« – urteilt, bezogen? Etwa auf »Vorstellungen«? Gewiß nicht, wenn Vorstellung hier bedeuten soll: Vorstellen als psychischer Vorgang. Er ist auch nicht auf Vorstellungen bezogen im Sinn des Vorgestellten, sofern damit gemeint wird ein »Bild« von dem realen Ding an der Wand. Vielmehr ist das »nur vorstellende« Aussagen seinem eigensten Sinne nach bezogen auf das reale Bild an der Wand. Dieses ist gemeint und nichts anderes. Jede Interpretation, die hier irgend etwas anderes einschiebt, das im nur vorstellenden Aussagen soll gemeint


Martin Heidegger - Sein Und Zeit