219


stand im Sinne einer Angleichung eines Seienden (Subjekt) an ein anderes (Objekt).

Das Wahrsein als Entdeckend-sein ist wiederum ontologisch nur möglich auf dem Grunde des In-der-Welt-seins. Dieses Phänomen, in dem wir eine Grundverfassung des Daseins erkannten, ist das Fundament des ursprünglichen Phänomens der Wahrheit. Dieses soll jetzt noch eindringlicher verfolgt werden.



b) Das ursprüngliche Phänomen der Wahrheit und die Abkünftigkeit des traditionellen Wahrheitsbegriffes


Wahrsein (Wahrheit) besagt entdeckend-sein. Ist das aber nicht eine höchst willkürliche Definition der Wahrheit? Mit so gewaltsamen Begriffsbestimmungen mag es gelingen, die Idee der Übereinstimmung aus dem Wahrheitsbegriff auszuschalten. Muß dieser zweifelhafte Gewinn nicht damit bezahlt werden, daß die alte »gute« Tradition in die Nichtigkeit gestoßen ist? Allein die scheinbar willkürliche Definition enthält nur die notwendige Interpretation dessen, was die älteste Tradition der antiken Philosophie ursprünglich ahnte und vor-phänomenologisch auch verstand. Das Wahrsein des λόγος als ἀπόφανσις ist das ἀληθεύειν in der Weise des ἀποφαίνεσθαι: Seiendes – aus der Verborgenheit herausnehmend – in seiner Unverborgenheit (Entdecktheit) sehen lassen. Die ἀλήθεια, die von Aristoteles nach den oben angeführten Stellen mit πρᾶγμα, φαινόμενα gleichgesetzt wird, bedeutet die »Sachen selbst«, das, was sich zeigt, das Seiende im Wie seiner Entdecktheit . Und ist es Zufall, daß in einem der Fragmente des Heraklit1, den ältesten philosophischen Lehrstücken, die ausdrücklich vom λόγος handeln, das herausgestellte Phänomen der Wahrheit im Sinne der Entdecktheit (Unverborgenheit) durchblickt? Dem λόγος und dem, der ihn sagt und versteht, werden die Unverständigen entgegengestellt. Der λόγος ist φράζων ὅκως ἔχει, er sagt, wie das Seiende sich verhält. Den Unverständigen dagegen λανθάνει, bleibt in Verborgenheit, was sie tun; ἐπιλανθάνονται, sie vergessen, das heißt, es sinkt ihnen wieder in die Verborgenheit zurück. Also gehört zum λόγος die Unverborgenheit, ἀ-λήθεια. Die Übersetzung durch das Wort »Wahrheit« und erst recht die theoretischen Begriffsbestimmungen dieses Ausdrucks verdecken den Sinn dessen, was die Griechen als vorphilosophisches Verständnis dem terminologischen Gebrauch von ἀλήθεια »selbstverständlich« zugrunde legten.


1 Vgl. Diels, Fragmente der Vorsokratiker, Heraklit Fr. 1.


Martin Heidegger - Sein und Zeit