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einer Weise nicht genügen. Das Schuldigsein dieser Art ist bezogen auf Besorgbares.

Schuldigsein hat dann die weitere Bedeutung von »schuld sein an«, das heißt Ursache-, Urheber-sein von etwas oder auch »Veranlassungsein« für etwas. Im Sinne dieses »Schuld habens« an etwas kann man »schuldig sein«, ohne einem Andern etwas zu »schulden« oder »schuldig« zu werden. Umgekehrt kann man einem Andern etwas schulden, ohne selbst schuld daran zu sein. Ein Anderer kann bei Anderen »für mich« »Schulden machen«.

Diese vulgären Bedeutungen von Schuldigsein als »Schulden haben bei...« und »Schuld haben an...« können zusammengehen und ein Verhalten bestimmen, das wir nennen »sich schuldig machen«, das heißt durch das Schuldhaben an einem Schuldenhaben ein Recht verletzen und sich strafbar machen. Die Forderung, der man nicht genügt, braucht jedoch nicht notwendig auf einen Besitz bezogen zu sein, sie kann das öffentliche Miteinander überhaupt regeln. Das so bestimmte »sich schuldig machen« in der Rechtsverletzung kann aber zugleich den Charakter haben eines »Schuldigwerdens an Anderen«. Das geschieht nicht durch die Rechtsverletzung als solche, sondern dadurch, daß ich Schuld habe daran, daß der Andere in seiner Existenz gefährdet, irregeleitet oder gar gebrochen wird. Dieses Schuldigwerden an Anderen ist möglich ohne Verletzung des »öffentlichen« Gesetzes. Der formale Begriff des Schuldigseins im Sinne des Schuldiggewordenseins am Andern läßt sich also bestimmen: Grundsein für einen Mangel im Dasein eines Andern, so zwar, daß dieses Grundsein selbst sich aus seinem Wofür als »mangelhaft« bestimmt. Diese Mangelhaftigkeit ist das Ungenügen gegenüber einer Forderung, die an das existierende Mitsein mit Anderen ergeht.

Es bleibe dahingestellt, wie solche Forderungen entspringen, und in welcher Weise auf Grund dieses Ursprungs ihr Forderungs- und Gesetzescharakter begriffen werden muß. In jedem Falle ist das Schuldigsein im letztgenannten Sinne als Verletzung einer »sittlichen Forderung« eine Seinsart des Daseins. Das gilt freilich auch vom Schuldigsein als »sich strafbar machen«, als »Schulden haben« und von jedem »Schuldhaben an...«. Auch das sind Verhaltungen des Daseins. Faßt man das »beladen mit sittlicher Schuld« als eine »Qualität« des Daseins, so wird damit wenig gesagt. Im Gegenteil, es wird dadurch nur offenbar, daß die Charakteristik nicht ausreicht, um diese Art einer »Seinsbestimmtheit« des Daseins gegen die vorigen Verhaltungen ontologisch abzugrenzen. Der Begriff der sittlichen Schuld ist denn auch ontologisch so wenig geklärt, daß Auslegungen dieses Phä-


Martin Heidegger - Sein und Zeit