Mit dieser Wahl ermöglicht sich das Dasein sein eigenstes Schuldigsein, das dem Man-selbst verschlossen bleibt. Die Verständigkeit des Man kennt nur Genügen und Ungenügen hinsichtlich der handlichen Regel und öffentlichen Norm. Verstöße dagegen verrechnet es und sucht Ausgleiche. Vom eigensten Schuldigsein hat es sich fortgeschlichen, um desto lauter Fehler zu bereden. Im Anruf aber wird das Man-selbst auf das eigenste Schuldigsein des Selbst angerufen. Das Rufverstehen ist das Wählen – nicht des Gewissens, das als solches nicht gewählt werden kann. Gewählt wird das Gewissen-haben als Freisein für das eigenste Schuldigsein. Anrufverstehen besagt: Gewissen-habenwollen.
Damit ist nicht gemeint: ein »gutes Gewissen« haben wollen, ebensowenig eine willentliche Pflege des Rufes, sondern einzig Bereitschaft für das Angerufenwerden. Das Gewissen-habenwollen steht einem Aufsuchen faktischer Verschuldungen ebenso fern wie der Tendenz zu einer Befreiung von der Schuld im Sinne des wesenhaften »schuldig«.
Das Gewissen-haben-wollen ist vielmehr die ursprünglichste existenzielle Voraussetzung für die Möglichkeit des faktischen Schuldigwerdens. Rufverstehend läßt das Dasein das eigenste Selbst aus seinem gewählten Seinkönnen in sich handeln. Nur so kann es verantwortlich sein. Jedes Handeln aber ist faktisch notwendig »gewissenlos«, nicht nur weil es faktische moralische Verschuldung nicht vermeidet, sondern weil es auf dem nichtigen Grunde seines nichtigen Entwerfens je schon im Mitsein mit Andern an ihnen schuldig geworden ist. So wird das Gewissenhaben-wollen zur Übernahme der wesenhaften Gewissenlosigkeit, innerhalb der allein die existenzielle Möglichkeit besteht, »gut« zu sein.
Ob der Ruf gleich nichts zur Kenntnis gibt, so ist er doch nicht nur kritisch, sondern positiv; er erschließt das ursprünglichste Seinkönnen des Daseins als Schuldigsein. Das Gewissen offenbart sich demnach als eine zum Sein des Daseins gehörende Bezeugung, in der es dieses selbst vor sein eigenstes Seinkönnen ruft. Läßt sich das so bezeugte eigentliche Seinkönnen existenzial konkreter bestimmen? Vorgängig erhebt sich die Frage: kann die vollzogene Herausstellung eines im Dasein selbst bezeugten Seinkönnens eine zureichende Evidenz beanspruchen, solange das Befremden nicht geschwunden ist, daß hier das Gewissen einseitig auf die Daseinsverfassung zurückinterpretiert wurde mit voreiliger Übergehung all der Befunde, die der vulgären Gewissensauslegung bekannt sind? Läßt sich denn in der vorstehenden Interpretation das Gewissensphänomen so, wie es »wirklich«