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wenn man von einem weltlosen Ich »ausgeht«, um ihm dann ein Objekt und eine ontologisch grundlose Beziehung zu diesem zu verschaffen. Zu kurz trägt der Blick, wenn »das Leben« zum Problem gemacht und dann auch gelegentlich der Tod berücksichtigt wird. Künstlich dogmatisch beschnitten ist der thematische Gegenstand, wenn man sich »zunächst« auf ein »theoretisches Subjekt« beschränkt, um es dann »nach der praktischen Seite« in einer beigefügten »Ethik« zu ergänzen.

Das mag zur Klärung des existenzialen Sinnes der hermeneutischen Situation einer ursprünglichen Analytik des Daseins genügen. Mit der Herausstellung der vorlaufenden Entschlossenheit ist das Dasein hinsichtlich seiner eigentlichen Ganzheit in die Vorhabe gebracht. Die Eigentlichkeit des Selbstseinkönnens verbürgt die Vor-sicht auf die ursprüngliche Existenzialität, und diese sichert die Prägung der angemessenen existenzialen Begrifflichkeit.

Die Analyse der vorlaufenden Entschlossenheit führte zugleich auf das Phänomen der ursprünglichen und eigentlichen Wahrheit. Früher wurde gezeigt, wie das zunächst und zumeist herrschende Seinsverständnis das Sein im Sinne von Vorhandenheit begreift und so das ursprüngliche Phänomen der Wahrheit verdeckt1. Wenn es aber Sein nur »gibt«, sofern Wahrheit »ist«, und je nach der Art der Wahrheit das Seinsverständnis sich abwandelt, dann muß die ursprüngliche und eigentliche Wahrheit das Verständnis des Seins des Daseins und des Seins überhaupt gewährleisten. Die ontologische »Wahrheit« der existenzialen Analyse bildet sich aus auf dem Grunde der ursprünglichen existenziellen Wahrheit. Nicht jedoch bedarf diese notwendig jener. Die ursprünglichste, grundlegende existenziale Wahrheit, der die fundamentalontologische Problematik — die Seinsfrage überhaupt vorbereitend — zustrebt, ist die Erschlossenheit des Seinssinnes der Sorge. Für die Freilegung dieses Sinnes bedarf es der ungeschmälerten Bereithaltung des vollen Strukturbestandes der Sorge.


§ 64. Sorge und Selbstheit


Die Einheit der konstitutiven Momente der Sorge, der Existenzialität, Faktizität und Verfallenheit, ermöglichte die erste ontologische Umgrenzung der Ganzheit des Strukturganzen des Daseins. Die Sorge-Struktur



1 Vgl. § 44 b, S. 219 ff.


Martin Heidegger - Sein und Zeit