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schichte und Entwicklung der Wissenschaft, ihre faktischen Veranlassungen und nächsten Abzweckungen zum Problem gemacht werden. Nach der ontologischen Genesis der theoretischen Verhaltung suchend, fragen wir: welches sind die in der Seinsverfassung des Daseins liegenden, existenzial notwendigen Bedingungen der Möglichkeit dafür, daß das Dasein in der Weise wissenschaftlicher Forschung existieren kann? Diese Fragestellung zielt auf einen existenzialen Begriff der Wissenschaft. Davon unterscheidet sich der »logische« Begriff, der die Wissenschaft mit Rücksicht auf ihr Resultat versteht und sie als einen »Begründungszusammenhang wahrer, das ist gültiger Sätze« bestimmt. Der existenziale Begriff versteht die Wissenschaft als Weise der Existenz und damit als Modus des In-der-Welt-seins, der Seiendes bzw. Sein entdeckt, bzw. erschließt. Die vollzureichende existenziale Interpretation der Wissenschaft läßt sich jedoch erst dann durchführen, wenn der Sinn von Sein und der »Zusammenhang« zwischen Sein und Wahrheit1 aus der Zeitlichkeit der Existenz aufgeklärt sind. Die folgenden Überlegungen bereiten das Verständnis dieser zentralen Problematik vor, innerhalb deren auch erst die Idee der Phänomenologie im Unterschied zum einleitend angezeigten Vorbegriff2 entwickelt wird.

Der bisher gewonnenen Stufe der Betrachtung entsprechend, ist der Interpretation des theoretischen Verhaltens eine weitere Beschränkung auferlegt. Wir untersuchen nur den Umschlag des umsichtigen Besorgens von Zuhandenem zur Erforschung des innerweltlich vor-findlichen Vorhandenen mit der leitenden Absicht, zur zeitlichen Konstitution des In-der-Welt-seins überhaupt vorzudringen.

Es liegt nahe, den Umschlag vom »praktisch« umsichtigen Hantieren, Gebrauchen und dergleichen zum »theoretischen« Erforschen in folgender Weise zu charakterisieren: das pure Hinsehen auf das Seiende entsteht dadurch, daß sich das Besorgen jeglicher Hantierung enthält. Das Entscheidende der »Entstehung« des theoretischen Verhaltens läge dann im Verschwinden der Praxis. Gerade wenn man als primäre und vorherrschende Seinsart des faktischen Daseins das »praktische« Besorgen ansetzt, wird die »Theorie« ihre ontologische Möglichkeit dem Fehlen der Praxis, das heißt einer Privation verdanken. Allein das Aussetzen einer spezifischen Hantierung im besorgenden Umgang läßt die sie leitende Umsicht nicht einfach als einen Rest zurück. Das Besorgen verlegt sich dann vielmehr eigens in ein



1 Vgl. § 44, S. 212 ff.

2 Vgl § 7, S. 27 ff.