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nur wiederkehrt, wenn die Existenz schicksalhaft-augenblicklich für sie in der entschlossenen Wiederholung offen ist.

Die existenziale Interpretation der Geschichtlichkeit des Daseins gerät ständig unversehens in den Schatten. Die Dunkelheiten lassen sich um so weniger abstreifen, als schon die möglichen Dimensionen des angemessenen Fragens nicht entwirrt sind und in allen das Rätsel des Seins und, wie jetzt deutlich wurde, der Bewegung sein Wesen treibt. Gleichwohl mag ein Entwurf der ontologischen Genesis der Historie als Wissenschaft aus der Geschichtlichkeit des Daseins gewagt werden. Er dient als Vorbereitung für die im folgenden zu vollziehende Klärung der Aufgabe einer historischen Destruktion der Geschichte der Philosophie1.



§ 76. Der existenziale Ursprung der Historie aus der

Geschichtlichkeit des Daseins


Daß die Historie wie jede Wissenschaft als eine Seinsart des Daseins faktisch und jeweils von der »herrschenden Weltanschauung« »abhängig« ist, bedarf keiner Erörterung, über dieses Faktum hinaus muß jedoch nach der ontologischen Möglichkeit des Ursprungs der Wissenschaften aus der Seinsverfassung des Daseins gefragt werden. Dieser Ursprung ist noch wenig durchsichtig. Im vorliegenden Zusammenhang soll die Analyse den existenzialen Ursprung der Historie nur soweit umrißhaft kenntlich machen, als dadurch die Geschichtlichkeit des Daseins und ihre Verwurzelung in der Zeitlichkeit noch deutlicher ans Licht kommt.

Wenn das Sein des Daseins grundsätzlich geschichtlich ist, dann bleibt offenbar jede faktische Wissenschaft diesem Geschehen verhaftet. Die Historie hat aber noch in einer eigenen und vorzüglichen Weise die Geschichtlichkeit des Daseins zur Voraussetzung.

Das möchte man zunächst durch den Hinweis darauf verdeutlichen, daß die Historie als Wissenschaft von der Geschichte des Daseins das ursprünglich geschichtlich Seiende zur »Voraussetzung« haben muß als ihr mögliches »Objekt«. Allein Geschichte muß nicht nur sein, damit ein historischer Gegenstand zugänglich wird, und nicht nur ist historisches Erkennen als geschehende Verhaltung des Daseins geschichtlich, sondern die historische Erschließung von Geschichte ist an ihr selbst, mag sie faktisch vollzogen werden oder nicht, ihrer ontologischen Struktur nach in der Geschichtlichkeit des Daseins verwurzelt. Diesen Zusammenhang meint die Rede vom existenzialen Ursprung der Hi-


1 Vgl. § 6, S. 19 ff.


Martin Heidegger - Sein Und Zeit