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eines Vorhandenen fremd ist, ihrerseits aber die Bedingung der Möglichkeit des Zuganges zu einem vorhandenen Stetigen darstellt.

Am eindringlichsten offenbart die Hauptthese der vulgären Zeitinterpretation, daß die Zeit »unendlich« sei, die in solcher Auslegung liegende Nivellierung und Verdeckung der Weltzeit und damit der Zeitlichkeit überhaupt. Die Zeit gibt sich zunächst als ununterbrochene Abfolge der Jetzt. Jedes Jetzt ist auch schon ein Soeben bzw. Sofort. Hält sich die Zeitcharakteristik primär und ausschließlich an diese Folge, dann läßt sich in ihr als solcher grundsätzlich kein Anfang und kein Ende finden. Jedes letzte Jetzt ist als Jetzt je immer schon ein Sofort-nicht-mehr, also Zeit im Sinne des Nicht-mehr-jetzt, der Vergangenheit; jedes erste Jetzt ist je ein Soeben-noch-nicht, mithin Zeit im Sinne des Nochnicht-jetzt, der »Zukunft«. Die Zeit ist daher »nach beiden Seiten« hin endlos. Diese Zeitthese wird nur möglich auf Grund der Orientierung an einem freischwebenden An-sich eines vorhandenen jetzt-Ablaufs, wobei das volle Jetztphänomen hinsichtlich der Datierbarkeit, Weltlichkeit, Gespanntheit und daseinsmäßigen Örtlichkeit verdeckt und zu einem unkenntlichen Fragment herabgesunken ist. »Denkt man« in der Blickrichtung auf Vorhandensein und Nichtvorhandensein die Jetztfolge »zu Ende«, dann läßt sich nie ein Ende finden. Daraus, daß dieses zu Ende Denken der Zeit je immer noch Zeit denken muß, folgert man, die Zeit sei unendlich.

Worin gründet aber diese Nivellierung der Weltzeit und Verdeckung der Zeitlichkeit? Im Sein des Daseins selbst, das wir vorbereitend als Sorge interpretierten1. Geworfen-verfallend ist das Dasein zunächst und zumeist an das Besorgte verloren. In dieser Verlorenheit aber bekundet sich die verdeckende Flucht des Daseins vor seiner eigentlichen Existenz, die als vorlaufende Entschlossenheit gekennzeichnet wurde. In der besorgten Flucht liegt die Flucht vor dem Tode, das heißt ein Wegsehen von dem Ende des In-der-Welt-seins2. Dieses Wegsehen von... ist an ihm selbst ein Modus des ekstatisch zukünftigen Seins zum Ende. Die uneigentliche Zeitlichkeit des verfallend-alltäglichen Daseins muß als solches Wegsehen von der Endlichkeit die eigentliche Zukünftigkeit und damit die Zeitlichkeit überhaupt verkennen. Und wenn gar das vulgäre Daseinsverständnis vom Man geleitet wird, dann kann sich die selbstvergessene »Vorstellung« von der »Unendlichkeit« der öffentlichen Zeit allererst verfestigen. Das Man stirbt nie, weil es nicht sterben kann, sofern der Tod je meiner



1 Vgl. § 41, S. 191 ff.

2 Vgl. § 51, S. 252 ff.


Martin Heidegger - Sein und Zeit