Das Wahrsein als Entdeckend-sein ist wiederum ontologisch nur möglich auf dem Grunde des In-der-Welt-seins. Dieses Phänomen, in dem wir eine Grundverfassung des Daseins erkannten, ist das Fundament des ursprünglichen Phänomens der Wahrheit. Dieses soll jetzt noch eindringlicher verfolgt werden.
b) Das ursprüngliche Phänomen der Wahrheit und die Abkünftigkeit des traditionellen Wahrheitsbegriffes
Wahrsein (Wahrheit) besagt entdeckend-sein. Ist das aber nicht eine höchst willkürliche Definition der Wahrheit? Mit so gewaltsamen Begriffsbestimmungen mag es gelingen, die Idee der Übereinstimmung aus dem Wahrheitsbegriff auszuschalten. Muß dieser zweifelhafte Gewinn nicht damit bezahlt werden, daß die alte »gute« Tradition in die Nichtigkeit gestoßen ist? Allein die scheinbar willkürliche Definition enthält nur die notwendige Interpretation dessen, was die älteste Tradition der antiken Philosophie ursprünglich ahnte und vorphänomenologisch auch verstand. Das Wahrsein des λόγος als άπόφανσις ist das άληθεύειν in der Weise des άποφαίνεσθαι : Seiendes — aus der Verborgenheit herausnehm end — in seiner Unverborgenlieit (Entdecktheit) sehen lassen. Die ἀλήθεια, die von Aristoteles nach den oben angeführten Stellen mit πράγμα, φαινόμενα gleichgesetzt wird, bedeutet die »Sachen selbst«, das, was sich zeigt, das Seiende im Wie seiner Entdecktheit. Und ist es Zufall, daß in einem der Fragmente des Heraklit16, den ältesten philosophischen Lehrstücken, die ausdrücklich vom λόγος handeln, das herausgestellte Phänomen der Wahrheit im Sinne der Entdecktheit (Unverborgenheit) durchblickt? Dem λόγος und dem, der ihn sagt und versteht, werden die Unverständigen entgegengestellt. Der λόγος ist φράζων οκως έ'χει, er sagt, wie das Seiende sich verhält. Den Unverständigen
16 Vgl. Diels, Fragmente der Vorsokratiker, Heraklit Fr. 1.